Kosmopolitismus und friedliches Zusammenleben der Verschiedenen

Kosmopolitismus und friedliches Zusammenleben der Verschiedenen

Das “Dokument über menschliche Geschwisterlichkeit für den Weltfrieden und das Zusammenleben”: Ein innovativer Beitrag seitens des Islam und der katholischen Kirche

Franziskus, der erste lateinamerikanische Papst, der im März 2013 sein Amt antrat, hat über den Bereich der Kirchen hinaus eine hohe öffentliche Aufmerksamkeit bekommen – vor allem durch sein Engagement für eine andere Wirtschaftsordnung, für Flüchtlinge, für die Ausgeschlossenen, für eine „ökologische Umkehr“. Seine Aktivitäten im Bereich der Beziehungen zu den anderen Religionen sind dagegen wenig bekannt, obwohl Papst Franziskus bedeutende Initiativen gesetzt hat.

Im Zentrum stehen dabei die verstärkte Kooperation und die Verbesserung der Beziehungen zwischen der katholischen Kirche und dem Islam, vor allem ihr gemeinsamer Einsatz gegen gewalttätige fundamentalistische Bewegungen in der islamischen Welt. Der Aufstieg der neo-salafistischen djihadistischen Organisation „Islamischer Staat“ ab 2014 war verbunden mit massiven Verfolgungen andersdenkender Muslime, der Jesiden und der christlichen Bevölkerung im Irak und in Syrien, ebenso mit einer Reihe von Terroranschlägen in Europa. Die Gewalt des „IS“ auf Basis einer selektiven Interpretation des Koran belastet nicht nur das Bild des Islam, sondern die öffentliche Wahrnehmung von Religion insgesamt und die Beziehungen von Christen und Muslimen. Zugleich wird der Terror djihadistischer Organisationen seitens rechtspopulistischer und -extremer Parteien weltweit politisch instrumentalisiert.

Inmitten dieses schwierigen globalen Kontexts setzte Papst Franziskus vom Beginn seines Pontifikats an markante Gesten der Verständigung gegenüber der islamischen Welt. Er machte wiederholt deutlich, dass Fundamentalismus ein Problem in allen Religionsgemeinschaften ist, nicht nur im Islam. Der Papst betonte die Unterscheidung zwischen dem „wahren Islam“, der mit Gewalt unvereinbar ist, und djihadistischen Splittergruppen, und wandte sich gegen Stereotypen: „Kein Volk ist kriminell, und keine Religion ist terroristisch.“ Es sei falsch, den Islam mit Gewalt gleichzusetzen. Durch sein öffentliches Engagement für eine differenzierte, sachgemäße Wahrnehmung des Islam gelang es ihm, die Vertrauensbasis zwischen dem Vatikan und der Al-Azhar-Universität in Kairo, der wichtigsten Bildungsinstitution im sunnitischen Islam, schrittweise wiederherzustellen. Im Gefolge kritischer Äußerungen von Papst Benedikt XVI. zum Thema Religionsfreiheit in der islamischen Welt nach dem Bombenanschlag auf eine koptische Kirche in Alexandrien hatte die Al-Azhar die offiziellen Beziehungen zum Vatikan im Jänner 2011 eingefroren.

Das „Dokument über menschliche Geschwisterlichkeit für den Weltfrieden und das Zusammenleben“ (2019)

Durch einige persönliche Treffen zwischen Papst Franziskus und Scheich Ahmad al-Tayyib, dem Großimam der Al-Azhar, ab Mai 2016 entwickelte sich allmählich eine vertrauensvolle Beziehung und schließlich eine Freundschaft. Damit war die Grundlage für die bedeutendste und innovativste interreligiöse Initiative dieses Pontifikats geschaffen, nämlich die Entwicklung einer gemeinsamen Erklärung seitens des Vatikans und der Al-Azhar: das „Dokument über menschliche Geschwisterlichkeit für den Weltfrieden und das Zusammenleben“. Einleitend erklären die beiden Institutionen, „dass sie die Kultur des Dialogs als Weg, die allgemeine Zusammenarbeit als Verhaltensregel und das gegenseitige Verständnis als Methode und Maßstab annehmen wollen“. Der Text verurteilt religiös begründeten Terrorismus, anerkennt vollwertige Bürgerrechte unabhängig von ethnischer, kultureller und religiöser Zugehörigkeit und ruft zur Anerkennung der Frauenrechte auf.

Das Dokument wurde am 4. Februar 2019 vom Papst und vom Großimam im Rahmen einer internationalen interreligiösen Konferenz unter dem Titel „Menschliche Geschwisterlichkeit“ – der religiöse Begriff für Kosmopolitismus – in Abu Dhabi unterzeichnet. Damit setzten die Spitzenvertreter der katholischen Kirche und des sunnitischen Islam ein institutionelles Zeichen der Verständigung und der Zusammenarbeit, das einer Politik der Spaltung und des Hasses auf den Anderen entgegengesetzt wird. Den radikalen djihadistischen Bewegungen, aber auch den islamfeindlichen Scharfmachern in den christlich geprägten Gesellschaften und innerhalb der Kirche soll damit der Wind aus den Segeln genommen werden. Darüber hinaus soll das Bewusstsein der Verbundenheit der Menschheit auf dem einen Planeten – über nationale, kulturelle, religiöse Unterschiede hinweg – gefördert werden.

Im Sommer 2019 wurde das katholisch, sunnitisch und jüdisch besetzte „Higher Committee of Human Fraternity“ eingerichtet, um die Implementierung der Erklärung voranzutreiben. Im Dezember 2020 erklärte die UN-Vollversammlung den 4. Februar zum „Internationalen Tag der Geschwisterlichkeit aller Menschen“. Darauf wird es ankommen: die kosmopolitischen, friedensfördernden Intentionen dieser Initiative in allen Religionsgemeinschaften und Gesellschaften bekannt zu machen, vor allem an der Basis, und sie im Alltag umzusetzen. Gleichzeitig gilt es für die katholische Kirche und die sunnitischen Institutionen, die Anerkennung der Frauenrechte, zu der sie aufrufen, im eigenen Bereich konsequent umzusetzen.

 

Mehr dazu im neuen Buch von Ernst Fürlinger:
Ernst Fürlinger (2023): Handwerker der Hoffnung. Papst Franziskus und der interreligiöse Dialog. Innsbruck/Wien: Tyrolia

 

 


Insight by

Ernst Fürlinger

wissenschaftlicher Mitarbeiter