Ausstellung „Liminal“ in Venedig

Ausstellung „Liminal“ in Venedig

Was passiert, wenn die Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen nicht erreicht werden? Droht bei der Nicht-Erreichung der Ziele sogar das Ende der Menschheit?

Der Posthumanismus beschreibt das Zeitalter nach dem Ende der Menschheit. Wann, wie, warum und ob dieses Zeitalter eintritt, ist unklar, bestimmte Entwicklungen befeuern allerdings die Sorge, dass es schneller eintritt als uns lieb ist. Die Sorge begründet sich aus der atomaren Aufrüstung und der angespannten weltpolitischen Lage, dem Klimawandel und dessen Folgen und nicht zuletzt aus der rasanten technologischen Entwicklung von künstlicher Intelligenz. Die Befürchtungen hinsichtlich der KI beziehen sich vor allem auf die technologische Singularität und den Zeitpunkt, ab dem die KI die menschliche Intelligenz überschritten hat und sich selbst ohne Zutun der Menschen weiterentwickelt.

In der Kunst werden posthumanistische Ansätze immer häufiger aufgegriffen und diskutiert. Das Besondere am künstlerischen Umgang mit dem Posthumanismus ist, dass das Zeitalter nach dem Ende der Spezies Mensch paradoxerweise genau für diese erlebbar gemacht werden kann. In Venedig läuft derzeit sowohl die Biennale, die das Thema in einigen Pavillons aufgreift, aber auch die Ausstellung „Liminal“ von Pierre Huyghe in der Punta della Dogana, die Teil der Pinault Collection ist und das Verhältnis von Menschlichem zu nicht-Menschlichem behandelt sowie eine posthumanistische, teils dystopische Atmosphäre schafft.

Die Ausstellung „Liminal“ ist fast zur Gänze im Dunkeln und teilweise auf steinernem Geröllboden, der einen gedanklich an einen menschenleeren Ort wie den Mond versetzt. Beim Eintreten in den ersten Raum empfängt die Besucher_innen ein Werk, das den gleichen Titel wie die Ausstellung trägt – „Liminal“. Auf einer riesigen Leinwand ist ein „menschliches“ Wesen zu sehen, das jedoch weder Gesicht noch Gehirn besitzt. Anstelle des Gehirns und des davor gelegenen Gesichts, das für die Identifikation von Menschen dient, für das Erkennen von Emotionen bei anderen Menschen zentral ist und fast alle wichtigen Sinnesorgane beherbergt, ist eine schwarze Leerstelle zu erkennen. Das „menschliche“ Wesen befindet sich innerhalb einer dunklen und dystopisch anmutenden Welt und durchschreitet, beziehungsweise durchkriecht diese abwechselnd. Das Verhalten changiert somit zwischen menschlichem und nicht-menschlichem Verhalten und die Intentionen der Figur in dieser leeren und dunklen Welt bleiben nicht zuletzt auch aufgrund des fehlenden Gesichts völlig verborgen.

Ähnlich unklar bleiben die Intentionen des Affen im Film „Human Mask“ (2014). Der Affe befindet sich in einem verlassenen Restaurant in der Nähe von Fukushima und trägt die Maske eines Mädchens. Durch den Ort des Geschehens wird auf mögliche post-atomare Räume verwiesen. Der Affe bewegt sich zwischen ihm gelernten Ritualen und aus menschlicher Sicht zufälligem Verhalten. Durch die Maske und die Performance von eingeübten Ritualen bleibt eine gewisse menschliche Präsenz bestehen. Die Maske ist aber gleichzeitig auch Symbol für die Persona, die Menschen nach außen hin zeigen oder aufsetzen. Dem Affen im Film nicht unähnlich, verbergen sich hinter der Persona sozial eingelernte Programme als Ursache des menschlichen Verhaltens.

Die Maske tritt den Besucher_innen aber mehrfach entgegen. Im gesamten Ausstellungsraum gehen stille menschliche Protagonisten umher, die eine Maske tragen, welche eine für Menschen unbekannte und nicht identifizierbare Computer-generierte Sprache äußert. Die Personen wirken damit unheimlich und von einer anderen Welt oder anderen Zeit. Wenn sie still an einer Stelle stehen, sind sie nicht von anderen musealen Objekten zu unterscheiden, sich ihnen anzunähern, um die Laute aus der Maske zu hören bleibt allerdings seltsam, bleibt doch eine gewisse Spannung zwischen zwei sich fremden menschlichen Protagonisten.

Das Ende der Zivilisation bringt jede Menge Überreste menschlichen Lebens mit sich. Dieser Aspekt zeigt sich in dem sich selbst ständig neu schneidenden Film „Camata“ (2024). Sensoren im Raum reagieren auf Veränderungen, woraus sich neue Schnitte ergeben. Der Film hat somit keinen Anfang und kein Ende. Das Ende der Menschheit entfaltet sich somit live vor den Zuschauer_innen. Roboter performen ein ständig neues, unbekanntes Ritual auf dem Skelett eines jungen Mannes.

Die Arbeit “UUmwelt – Annlee“ (2018-2024) entstand aus der Interaktion von Mensch und Maschine. Die Gehirnaktivität einer Person, die sich die fiktive Figur Annlee vorstellte, wurde aufgezeichnet und durch ein deep neural network wurden die mentalen Bilder rekonstruiert. Während der Präsentation der Bilder verändern sich diese wieder aufgrund verschiedenster Parameter in der Umgebung des Werks. Die sich schnell verändernden und ineinander übergehenden Repräsentationen von Annlee lassen menschliche und nicht-menschliche Erscheinungsformen erahnen. Dem Ursprung des Werks lag menschliche Vorstellungskraft zu Grunde. Durch die stete Veränderung der Bilder bleibt nur mehr eine Ähnlichkeit zu den Ursprungsbildern vorhanden – die computergenerierte Präsentation verselbstständigt sich.

Die vielschichtigen Arbeiten der Ausstellung „Liminal“ fragen nach der Eigenheit von Menschen, was diesen ausmacht, seinem Verhältnis zur Natur und danach, was nach dem Ende der Menschheit passiert. „Liminal“ schafft es dabei eine dunkle, fremde Atmosphäre zu kreieren und Möglichkeiten der verlassenen menschlichen Welt aufzuzeigen und erfahrbar zu machen. Gleichzeitig wird den Besucher_innen bewusst, wie unzugänglich die technologischen Prozesse sein können, haben diese sich erst einmal verselbstständigt.

Die Sustainable Development Goals (SDGs) setzen bei Erreichung derselben den zu Beginn genannten Befürchtungen und der dystopischen Atmosphäre in der Ausstellung ein positives Zukunftsbild entgegen. Die Ziele streben dabei etwa Frieden, Maßnahmen zum Klimaschutz, bezahlbare und saubere Energie oder starke Institutionen, welche für die Regulierung von technischen Entwicklungen sorgen müssen, an.

 

Literatur: Anne Stenne: Pierre Huyghe. Liminal, Digital Exhibition Guide, pg-pierrehuyghe-ldv-en-72dpi.pdf (pinaultcollection.com), abgerufen am 7.5.2024, 15:20 Uhr.

 

Foto: Stefan Riedl auf Unsplash


Insight by

Adrian Praschl-Bichler

wissenschaftlicher Mitarbeiter