Interview: Der Maler Eduard Angeli und Venedig

Interview: Der Maler Eduard Angeli und Venedig

Der österreichische Maler Eduard Angeli (*1942) lebt und arbeitet sowohl in Österreich als auch seit 22 Jahren in Venedig. Aktuell stellt er in Venedig („Silentium“ in der Fondazione Vedova bis 28. November 2024) und in der Stadtgalerie Klagenfurt („Magie der Stille“ bis 8. September 2024) aus. Die Lagunenstadt Venedig ist seit einigen Jahrzehnten ein zentrales Bildthema und Inspirationsquelle für seine Arbeiten. Auf unnachahmliche Weise schafft er es das spezielle Licht Venedigs und dessen Stimmung einzufangen. Angelis Gemälde stellen ein stilles und menschenleeres Venedig dar. Menschen bleiben aber insofern präsent, als dass deren Artefakte, zumeist in Form der gebauten Umwelt, auftreten und so indirekt auf die menschliche Existenz verweisen. Die menschenleeren Gemälde bilden außerdem einen starken Gegensatz zu der in der Realität durch Touristen überfluteten Stadt. Angelis Intention ist es aber auch nicht die „Realität“ darzustellen, diese ist nur der Ausgangspunkt für bestimmte Bildideen.

Angelis atmosphärischer Kunst gelingt es eine Vielzahl von verschiedenen Gefühlen auszulösen. Dabei changieren diese oft zwischen einem Zustand der Einsamkeit und Melancholie, der über die Leere in den Bildern vermittelt wird und über den (Un-)Sinn des Lebens reflektieren lässt sowie einem erhabenen Gefühl der Nachdenklichkeit, das einem die poetische Schönheit venezianischer Lichtstimmungen gibt. Andere Bilder wirken unter anderem durch das diffuse Licht geheimnisvoll, rätselhaft, geradezu mystisch.

© Eduard Angeli, „Die Bar 2“ (2006), Kohle und Kreide auf Leinwand, 190x300cm

 

Die unterschiedlichen Gefühle gehen aber auch mit verschiedenen kognitiven Interpretationen der Bildinhalte einher. Die Einsamkeit und Melancholie lassen sich auf die Stadt Venedig bezogen mit der Sorge und der Angst um die zukünftige Unbewohnbarkeit verbinden, während das beschriebene erhabene Gefühl der Nachdenklichkeit die Unberührtheit Venedigs und ein Idealbild der Stadt ohne Menschen herbeisehnt. Auch wenn diese Interpretationen nicht den Intentionen des Künstlers entsprechen, wie er in unserem Interview ausführte, so lässt sich die Vielfalt an Interpretationsmöglichkeiten seiner Bilder vor allem als Qualitätsmerkmal Angelis Kunst deuten.

© Eduard Angeli, „Maler am Ufer“ (2023), Pastell auf Papier, 56x76cm

 

Die Lagunenstadt Venedig kämpft wie kaum eine andere Stadt mit einer Vielzahl von Problemen. Der menschengemachte Klimawandel verursacht einen global ansteigenden Meeresspiegel, wodurch die Stadt in absehbarer Zeit unterzugehen droht. Die stetig wiederkehrenden Hochwasser verursachen Schäden an den historisch bedeutsamen Gebäuden und ein erschwertes Leben für die Einwohner. Außerdem führt der Übertourismus und die zunehmende „Musealisierung“ der Stadt selbst dazu, dass traditionelle Betriebe sowie einfache Geschäfte für den täglichen Bedarf und mit diesen die Einwohner aus Venedig verschwinden.

Wir durften Eduard Angeli als großartigen österreichischen Künstler, aber auch als Einwohner der Stadt Venedig zu einem Interview in seinem Atelier treffen, um über seine Kunst und Venedigs Probleme zu sprechen.

 

Adrian Praschl-Bichler: Sie leben seit 22 Jahren in Venedig, was begeistert Sie abgesehen von den malerischen Voraussetzungen und dem venezianischen Licht an der Stadt und was hat sich in der Zeit in Venedig verändert?

Eduard Angeli: Neben diesem besonderen Licht begeistert mich auch dass sie eine kleine Provinzstadt ist, die alle zwei Jahre die Biennale hat, wo dann die vielen Kunstproduzenten und Kunsthändler der Welt nach Venedig kommen. Das ist schon eine spannende Sache und die Stadt ist voll mit Kunst, was eben auch sehr verlockend ist. Klimatisch ist es auch etwas anders als in Österreich. Die Winter sind milder, also es schneit zwar auch manchmal, aber so schlimm ist es nicht. Und mit der Zeit ändert sich auch das. Die Winter werden immer unauffälliger eigentlich.

Was hat sich verändert? Man merkt den Klimawandel extrem in der Stadt. Als ich vor 22 Jahren hingezogen bin, hat es am Lido nie wirklich Acqua alta (Anm.: ital. für „Hochwasser“) gegeben. Das Wasser ist erst mit der Zeit immer höher gekommen. Weil ich direkt am Wasser gewohnt habe, habe ich es an meiner Terrasse gemerkt. Die Terrasse hatte eine Treppe zum Wasser hinunter und war mit einem Gittertor verschlossen und das Wasser ist langsam, langsam immer höher gekommen über die Jahre bis zum Gittertor. Später habe ich das Gittertor durch ein Schott, ein richtiges Schott wie es auch in der Stadt oft verwendet wird und Geschäfte schützt, ersetzen müssen. Dieses Schott wurde dann sogar 2019 als das große Hochwasser war, vollkommen weggeräumt. Das war ein dickes Metallschott. So brutal war damals die Überschwemmung. Zusätzlich gab es einen Schirokko (Anm.: heißer Wüstenwind) mit 100 km/h. Da bauen sich in der Südlagune unheimliche Wellen auf und die haben mir eben die Atelierfenster zerschmettert und das Haus überschwemmt. Also ich habe den Klimawandel langsam kommen sehen.

AP: Wie Sie gerade erläutert haben, kämpft Venedig als Lagunenstadt durch seine exponierte Lage mit massiven Umweltproblemen, unter anderem dem steigenden Meeresspiegel. Gleichzeitig setzt aber auch der Massentourismus Venedig zu. Wie sehen Sie die Entwicklung der Stadt unter diesem Gesichtspunkt und wie nehmen Sie das Leben dahingehend in Venedig wahr?

EA: Naja, die Stadt verliert durch diesen Massentourismus die Bewohner. Als ich gekommen bin, haben noch fix 80.000 Leute in Venedig gewohnt, jetzt sind es 50.000, sogar fallend, 45.000, weil sich die Leute durch AirBnB und all diesen Themen des Tourismus das Leben nicht mehr leisten können in der Stadt. Die Menschen ziehen auf die Terraferma, nach Maestre, Marghera, oder in andere Orte und pendeln in die Stadt und das ist schon eine sehr bedenkliche Entwicklung. Es beginnen auch die kleinen Geschäfte zu fehlen. Für die Leute, die noch fix in Venedig wohnen, wird es sehr schwer einzukaufen. Es gibt ein paar Supermärkte, aber der Greissler ums Eck verschwindet und das Leben wird immer beschwerlicher in Venedig. Was heißt das à la longue? Wenn da nicht irgendwie dagegen gesteuert wird, wird Venedig zum Disneyland und das kann auch nicht der Sinn der Sache sein. Auch die Eintrittsgebühr wird überhaupt nichts nutzen. Erstens ist sie viel zu nieder angesetzt mit fünf Euro und zweitens ist sie schwer zu exekutieren. Sie kontrollieren sie auch sehr schlecht. Wenn sie kontrollieren, müssten sie immer kontrollieren, aber nicht nur zu manchen Anlässen. Das ist also nicht durchdacht und wird nichts nutzen. So werden wir der Übertourismuswelle nicht Herr, niemals. Dasselbe passiert außerdem in Mallorca oder in Dubrovnik.  Dabei glaube ich, dass die ganz große Reisewelle sogar noch bevorsteht, wenn der wirkliche Mittelstand Asiens und auch ein langsam sich bildender Mittelstand aus Afrika anfängt zu reisen. Also die Prognose ist gar nicht gut, leider. Da muss man sich politisch was einfallen lassen.

AP: Sie wohnten während der Pandemie ja aufgrund des Hochwassers von 2019 zwischenzeitlich nicht mehr in Venedig, aber hatten die medial ständig präsenten Bilder der menschenleeren Städte, auch der menschenleeren Stadt Venedigs, eine Reflektion Ihrer Arbeit zur Folge? Schließlich sind Sie bekannt für Ihre menschenleeren Darstellungen.

EA: Nein, das war völlig unabhängig davon und war immer schon mein Ding. Es gibt noch die Bilder (weist auf die Bilder an seiner Wand) aus den 70er Jahren, wo Menschen drauf sind und ab 76´, 77´ verschwinden sie langsam aus den Bildern, weil ich es poetischer gefunden habe ohne Menschen zu malen und seit damals geht das so dahin. Es war aber eine tolle Erfahrung Venedig einmal ohne Menschenmassen zu sehen und im Canal Grande Delfine, das war unglaublich. Und in welcher Kürze die Kanäle bis zum Boden klar wurden war beeindruckend, da sonst durch die vielen Motorboote und Vaporetti ununterbrochen das Wasser aufgewirbelt wird. Das war schon ein unglaubliches Erlebnis.

Eines möchte ich auch noch ergänzen: In den 70er Jahren war ich auch schon in Venedig, immer auf dem Weg mit der Fähre in die Türkei und damals hat Venedig noch schrecklich gestunken und die Kanäle waren wirklich furchtbar dreckig. Seit damals ist enorm viel passiert. Damals kam das Abwasser teilweise noch ungefiltert in die Lagune. Das haben sie jetzt im Griff. Es gibt eine Kanalisation, Ringleitungen, am Lido gibt es sogar eine Kläranlage und wahrscheinlich gibt es am Festland für Venedig auch eine Kläranlage. Also man muss sagen, die Wasserqualität ist um vieles, vieles besser geworden. Da ist viel passiert und auch durch die Absiedlung der petrochemischen Industrie hat sich sehr viel zum Positiven geändert. Andererseits kommt durch die Erwärmung wieder von Zeit zu Zeit diese blöde Algenplage, die jetzt auch in Kroatien war, dieser sogenannte „Meeresrotz“. Der entsteht durch zu warmes Wasser und eine Überproduktion von Biomaterial und dann passiert für eine kurze Zeit, etwa 14 Tage, so eine Algenplage. Danach verschwindet sie wieder. Die Algen sinken aber an den Boden des Meeres und ich möchte gar nicht wissen, wie viel durch diese Algen da unten wiederum abstirbt. Also der Klimawandel ist wirklich ganz, ganz vehement zu merken in der Lagune. Und die Lagune ist immer schon ein sehr, sehr heikles Ökosystem gewesen. Deswegen hat man ja auch die Brenta (Anm.: Fluss in Norditalien) schon vor Jahrhunderten umgeleitet, weil die Brenta sonst das ganze Material, das sie ins Meer transportiert in die Lagune transportiert hätte und da wäre die Lagune schon lange versandet. Also die Venezianer wussten schon, wie sie mit dieser heiklen Lagune umgehen müssen.

Und noch etwas: Dieses MO.S.E.-Projekt (Anm.: Abkürzung für MoDulo Sperimentale Elettromeccanico), also diese Schleusen, die man gebaut hat, um gegen die großen Überschwemmungen gewappnet zu sein, funktionieren tatsächlich. Es ist nur so, dass jedes Zumachen 300.000 Euro kostet. Also da überlegen sie es sich, ob sie es wirklich zu machen. Manches Mal meinen sie, ein bisschen überschwemmt könne es schon sein, aber für große Überschwemmungen funktioniert es wirklich. Es hat sich schon zwei, drei Mal bewährt, obwohl da die Naturschützer sehr dagegen waren, aber es hilft.

AP: Wie bereits angesprochen stellen Sie Venedig in Ihren Bildern ohne Menschen dar, wenn man so sagen darf, entrückt von der Welt. Es kommen einem verschiedene Interpretationen in den Sinn: Venedig als Idealbild ohne Massen von Touristen oder das dystopische Venedig nach der Unbewohnbarkeit der Stadt. Beides entspricht wohl nicht ihren Intentionen, richtig? Wie interpretieren Sie diese Darstellungsweise in Bezug auf die Stadt Venedig?

EA: Ja, das ist richtig. Es ist so, der Philosoph Konrad Paul Liessmann hat über meine Bilder irgendwann einmal gesagt, ich würde nicht Venedig malen, sondern die Idee von Venedig und das trifft es ziemlich. Es ist also erstens nicht das spektakuläre Venedig, sondern das unspektakuläre und zweitens hat es nichts mit der tatsächlichen Wirklichkeit zu tun. Die Wirklichkeit ist nur der Auslöser für gewisse Bildideen und die bekomme ich, in dem ich durch die Stadt gehe oder, ich habe auch ein Boot, durch die Stadt mit dem Boot fahre.

AP: Wie läuft Ihr Malprozess zumeist ab? Stimmt es, dass Sie zukünftige Motive zunächst Fotografieren und später eher aus der Erinnerung malen?

EA: Ja, so passiert das. Also ich bin kein „plein air“-Maler, ich male nicht draußen. Ich bin ein Ateliermaler und mache mir Werkfotos, damit ich mich wieder an die Situation erinnern kann, wie waren die Größenordnungen, wie war das Licht und so weiter, keine Kunstfotos, sondern nur als Werkzeug. Das ist es, so arbeite ich und das praktisch jeden Tag. Auch nach den Überschwemmungen 2019, als ich wieder nach Österreich gezogen bin, habe ich hier in diesem Atelier venezianische Bilder gemalt, das war egal. Es ist deshalb egal, wo man ist, da es sowieso die innere Sicht ist, die ich wiedergebe und nachdem ich 22 Jahre auf das Meer geschaut habe, weiß ich schon, wie es geht. Auch William Turner (Anm.: englischer Maler, 1775-1851) ist zum Beispiel nach Venedig gereist und hat seine Skizzen und Aquarelle gemacht und die großen venezianischen Bilder hat er in London fertig gemalt. Aber trotzdem bin ich ja wieder zurückgekehrt und habe mir seit vorigem Jahr wieder etwas am Lido gesucht und auch gefunden. Ich bin froh, dass ich immer wieder dort sein kann, aber ich fahre antizyklisch, also nicht, wenn alle dort sind, wenn die Filmfestspiele sind oder die Biennale beginnt. Die Stadt lässt mich nicht mehr los, das ist so.

AP: Vielen Dank für das Interview!

EA: Gerne, ich danke auch!

 

Titel Foto: © Eduard Angeli


Insight by

Adrian Praschl-Bichler

wissenschaftlicher Mitarbeiter