Das komplexe Verhältnis von Mensch und Natur

Das komplexe Verhältnis von Mensch und Natur

Maria Christine Holter und Julia Hartmann kuratieren HUMAN_NATURE, die heurige Mitgliederausstellung der Gesellschaft bildender Künstlerinnen und Künstler Österreichs im Künstlerhaus am Karlsplatz in Wien. Die Ausstellung wird vom 15. Juni bis 17. September 2023 zu sehen sein. Christina Hainzl hat sich im Vorfeld zu einem Gespräch mit den Kuratorinnen getroffen.

Christina Hainzl: Nachhaltigkeit ist in gewisser Hinsicht ein Trendwort geworden. Was bedeutet es denn für Sie persönlich?

Maria C. Holter: Für mich ist Nachhaltigkeit, das sage ich auch als Mutter, nicht nur als Kuratorin, ein ganz wichtiges Thema. Wenn man jünger ist, dann schaut man vielleicht noch ein bisschen mehr auf sich und denkt: „… hinter mir die Sintflut.“ Sobald man aber in Generationen denkt, ist Nachhaltigkeit ein ganz wichtiger Aspekt und hat auch mein Leben ziemlich verändert. Etwa was Recycling betrifft: Mülltrennung wird bei uns schon lange sehr streng durchgeführt. Und wir versuchen in unserem Lebensvollzug, aber auch im Arbeitsbereich, diesem Wert der Nachhaltigkeit Rechnung zu tragen.
Als sich die Fridays for Future vor mittlerweile vier Jahren in Österreich gründeten, habe ich sofort Kontakte geknüpft – eigentlich über meine Tochter, die mir von der ersten großen Demo im Frühjahr 2019 in Wien erzählte. Wir Eltern sind dann in Unterstützung mit ihr mitgegangen und dort ist es mir gelungen, Kontakt mit Regisseur Werner Boote aufzunehmen, der die Idee der Artists for Future nach deutschem Vorbild nach Österreich brachte. Durch Boote bin ich quasi „unfreiwillig“ zur Mitbegründerin der Artists for Future Österreich geworden, deren Organisationsteam nach wie vor sehr klein ist, aber sich schon ca. 1.500 Menschen für unseren Aktivismus interessieren und bei den weltweiten Klimastreiks, wie jetzt wieder einer am 3. März 2023 stattfindet, mitgehen.

Julia Hartmann: Für mich ist natürlich auch Nachhaltigkeit im persönlichen Bereich schon länger ein Thema. Ich habe keine Kinder, aber trotzdem glaube ich, dass wir jetzt handeln müssen für die nächsten Generationen. Und in meiner Arbeitsweise finde ich auch, dass von einer feministischen Seite Nachhaltigkeit eine große Rolle spielt und immer mehr Aufmerksamkeit bekommt. Das finde ich eigentlich sehr spannend, dass wir das auch in die Ausstellung einbringen können und wollen.

Wie sieht denn nachhaltige Kultur oder Kunstproduktion aus, welche Elemente sind dabei wichtig?

Hartmann: Ich muss sagen, das wird mir jetzt auch im Zuge der Vorbereitung zu dieser Ausstellung immer mehr bewusst. Natürlich hat man schon früher versucht, einzusparen. Wir machen das ja auch klar in unserem kuratorischen Statement, dass wir das nicht nur aus theoretischer Sicht mit den Künstler:innen betrachten wollen, sondern auch in praktischer Hinsicht. Wir wollen möglichst überall in der Ausstellungsgestaltung CO2 einsparen, zum Beispiel beim Verpackungsmaterial und beim Transport. PKW-Transporte sollen so gut wie möglich reduziert werden und die Architektur von früheren Ausstellungen versuchen wir in unserer Ausstellung zu recyceln oder zu upcyceln.

Holter: Wir können ja keine Mitgliederausstellung der Künstlerhausvereinigung unter dem Titel HUMAN_NATURE bzw. zum Thema Nachhaltigkeit machen und dann selbst die ausgetretenen Pfade des Kuratierens weitergehen. Wir wollen den Willen zur Sparsamkeit, in dem was wir tun und zeigen, deutlich machen. Das soll man der Ausstellung auch im positiven Sinne anmerken. Wir verzichten deshalb, wie Julia schon gesagt hat, auf eine „flashige“ Ausstellungsarchitektur. Selbst wenn dann die Ausstellung vielleicht ein bisschen konventioneller aussieht. Uns ist wichtig, dass die Arbeiten gut zur Geltung kommen, sinnlich erfahrbar sind und unser Narrativ gut lesbar ist. Wir haben durch unser Konzept eine Grunderzählung geschaffen. Diese hat sich aber schon durch die beim Call eingereichten künstlerischen Beiträge deutlich verändert und wird sich vermutlich noch bis kurz vor der Eröffnung leicht ändern. Außerdem soll für jede und jeden zumindest ein Gedanke, ein Anknüpfungspunkt dabei sein, den sie:er für sich aus der Ausstellung oder dem Rahmenprogramm mitnehmen kann.

Hartmann: Was ich auch schön fand, ist die Zusammenarbeit mit den Künstler:innen. Wir haben von Anfang an kommuniziert, dass es eine nachhaltige Ausstellung im praktischen Sinn sein soll. So haben wir zum Beispiel vermittelt, dass wir nicht zwingend etwas Neues für die Ausstellung produziert haben wollen, und die Künstler:innen angehalten, dass sie uns Vorschläge machen, aus dem was schon da ist oder mit wenig Aufwand und Ressourcen produziert werden kann. Das hat eigentlich auch sehr gut geklappt und ich glaube, bei den Künstler:innen viele Gedanken angestoßen.

Es schafft ein Bewusstsein …

Holter: … nämlich, dass es möglich ist, unseren CO2-Fußabdruck im Kunst- und Kulturbereich kleiner zu halten. Wir unterstützen die Künstlerinnen und Künstler dabei, indem wir ihnen etwa alternative Verpackungsmaterialien vorschlagen – Alttextilien oder Papier. Leider gibt es zu dieser allgegenwärtigen Luftpolsterfolie noch keine wirklich gute und kostengünstige Alternative. Es wird schon geforscht, etwas Ähnliches aus Maisstärke herzustellen oder aus Algen, aber die Produkte sind einstweilen noch viel zu teuer. Viele Künstler:innen werden also wahrscheinlich noch mit Plastikfolie anliefern, aber von allen mit uns arbeitenden Kunstschaffenden haben wir gehört, dass sie diese zehn-, fünfzehnmal verwenden. Das heißt, es liegt auch an uns, wenn wir oder ein Aufbauteam die Werke auspacken, darauf zu achten, dass die Verpackungen möglichst unversehrt zurückkommen. Das wird hier im Künstlerhaus übrigens schon lange so gemacht, das ist quasi State of the Art hier.

Bilder waren zuletzt auch Ziele von Klimaaktivist:innen, insbesondere im letzten Jahr. Ich glaube, diese Debatte spaltet die Kunst- und Kulturszene sehr stark. Wie ist Ihre Position dazu? Und glauben Sie, dass diese Aktionen etwas bewirken?

Hartmann: Ich habe schon das Gefühl, dass sie etwas bewegt haben. Zumindest waren sie ständig in den Nachrichten. Ich war nicht in Österreich, als die Klimaaktivist:innen angekündigt haben, dass sie den Verkehr in Wien lahmlegen wollten. Aber ich hatte das Gefühl, das war dann eigentlich nicht so groß in den Medien vertreten, wie diese Aktionen in den Museen. Bei denen finde ich schon, dass viel Aufmerksamkeit da war. Und im Endeffekt ist ja nichts passiert. Als Kunsthistorikerin denke ich natürlich, man muss auf Kunstwerke achten, aber die Anliegen der Aktivist:innen stehen für mich immer noch über dem Wert des Kunstwerks. Deswegen sehe ich das vielleicht nicht als so schlimm wie andere im Kunstbetrieb.

Holter: Bei mir ist ein Gesinnungswandel eingetreten. Am Anfang war ich schockiert, besonders bei den ersten Attacken auf Kunstwerke in Großbritannien. Bei diesen Aktionen konnte ich noch nicht wirklich die Brücke herstellen: Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Als es dann auch in Österreich angefangen hat mit den Schüttaktionen der Letzten Generation, habe ich gefunden, dass die Aktivist:innen das hier klüger gemacht haben. Ich nehme jetzt beispielsweise die Attacke im Leopold Museum, worüber das erste Mal in Österreich wirklich breit medial berichtet wurde. Die Aktivist:innen haben ein völlig harmloses schwarzes Gemisch auf ein verglastes Bild von Klimt geworfen, das aber nach Erdöl aussah … Es ist Tatsache, dass die OMV einer der wichtigen Sponsoren des Museums ist, damit gibt es für mich einen Sinnzusammenhang, der aufrütteln soll. Es hat also etwas bewirkt, ja!

Gewaltfreier ziviler Ungehorsam im Klimaschutzbereich ist etwas, mit dem ich mich in den letzten Wochen und Monaten auseinandergesetzt habe, auseinandersetzen musste. Wenn man sich die Webseite von Artists of Future anschaut oder unseren Social Media Account, was wir drei Jahre lang an Aktionen gemacht haben – friedliche, künstlerisch wertvolle, kreative – und es hat eigentlich niemand darüber berichtet. Das „Fahnenmeer“ war auf allen großen Klimastreiks ein „Eyecatcher“ und wurde in den Medien überall gezeigt, aber es wurde nicht berichtet: „Das ist das Fahnenmeer der Artists for Future, die auf ihren künstlerisch gestalteten Fahnen wichtige Klimaschutz-Botschaften auf eine tolle, positive Art und Weise kommunizieren.“ Bei einem Skandal wird hingegen immer berichtet. Wir sind vor kurzem (endlich!) von Kultur heute (ORF III) zu einem Interview eingeladen worden. Darin ging es um Klimaaktivismus und Kunst und wie diese Kombination sinnvoll eingesetzt werden kann. Wir haben uns bemüht, die Aktionen der Letzten Generation, die natürlich zur Sprache kamen, nicht zu verteufeln, sondern zu sagen: Es ist nicht unser Weg, aber wir haben zunehmend Verständnis dafür, dass es den Jungen reicht!

Welche Rolle können denn Kurator:innen oder Künstler:innen einnehmen oder spielen, wenn es darum geht, dass wir unser gesamtes Zusammenleben  zukunftsfähiger gestalten?

Holter: Im Künstlerhaus wird hier sehr viel getan. Die letzte Ausstellung hat geheißen: „Loving Others“. Da ging es um Kooperation, Kollektive, Gender Fluidity und generell SDG’s. Nachhaltige Entwicklungsziele sind in der letzten Zeit schon in vielen Ausstellungen hier und in anderen Kunstinstitution berührt worden. Das Thema tritt immer deutlicher zu Tage.

Hartmann: Ich würde gern nochmals auf unseren praktischen Ansatz als Kuratorinnen hinweisen. Dass wir offenlegen, wie CO2-einsparend wir arbeiten, und so vielleicht auch ein Blue Print für weitere Ausstellungsprojekte sein können und wollen.

Die diesjährige Mitglieder-Ausstellung unter dem Titel HUMAN_NATURE  wird von Ihnen kuratiert. Was erwartet uns?

Hartmann: Es ist eine sehr umfangreiche, diverse Ausstellung, auch generationenübergreifend – mit Arbeiten von Mitgliedern der Künstlerhausvereinigung von jung bis alt. Sie zeigt auch einen schönen Bogen:  Was haben sich Künstler:innen schon vor 30 oder 40 Jahren gedacht zu diesem Thema? Und wie setzen sich jetzt junge Künstler:innen-Generationen damit auseinander? Das erwartet uns und die Besucher:innen. Und dann natürlich viele, einen Diskurs anstoßende Arbeiten, wodurch man sehr viel über die Thematiken der einzelnen Positionen reden kann, aus unterschiedlichen Perspektiven. Dazu sind sehr bunte, aber auch sehr dunkle Arbeiten, humorvolle und zukunftsvorhersehende Arbeiten vertreten – vielleicht eben auch Best-Practice-Beispiele für zukünftiges Ausstellungsmachen.

Holter: Uns war beim Konzept das Partizipative sehr wichtig, das Performative und der Outreach. Es gibt eigentlich fast in jedem Raum eine Position, bei der man als Besucher:in etwas tun kann oder wo man zumindest bei der Vernissage zuschauen kann, wie uns ein:e Künstler:in Inhalte performativ näherbringt. Es wird keine videolastige Ausstellung, aber wir zeigen Videos, auch als gutes Vermittlungsmedium. Am 16. September 2023, einen Tag vor Ende von HUMAN_NATURE wird es einen Aktionstag geben, wo Natur- und Klimaschutz-NGOs eingeladen werden, um sich zu präsentieren; dazu Podiumsgespräche und Workshops für Kinder und Erwachsene und vieles mehr. Es wäre schön, wenn das ein ganz toller, lebendiger Tag würde, der auch viel Hoffnung auf eine lebenswerte Zukunft macht.

 

Nähere Informationen zur Ausstellung finden Sie hier:

Foto: Romana Hagyo und Silke Maier-Gamauf, Hering und die Fluse, 2021 © Bildrecht

Informationen zu den Interviewpartnerinnen:

 Maria Christine Holter ist international tätige Kunsthistorikerin, Kuratorin und Programmgestalterin für Gegenwartskunst. Neben Gastkurationen im In- und Ausland unterhält sie eigene Ausstellungs- und Veranstaltungsformate wie in situ / follow up und FUNKENFLUG. Zudem berät sie Institutionen, Unternehmen und Privatpersonen zu Ausstellungs- und Sammlungstätigkeit. Maria Christine Holter ist Verfasserin zahlreicher Publikationen zur zeitgenössischen Kunst und vielgebuchte Moderatorin bei Kunstveranstaltungen. Sie ist Mitbegründerin von Artists for Future Austria, Mitglied des Organisationsteams und Aktivistin der A4F. (Foto: Liz Barber)

 

 Julia Hartmann ist Kunsthistorikerin und freischaffende Kuratorin. Sie beschäftigt sich mit transnationaler feministischer und gesellschaftspolitischer Kunst und den Schnittstellen von Kunst und Digitalisierung, Migration und gesellschaftlichen Bewegungen. Zuvor war sie als kuratorische Assistenz bei der Secession und im 21er Haus des Belvedere tätig und ist zur Zeit Associate Curator der VIENNA ART WEEK. Sie schreibt zudem für Kunstmagazine und publiziert wissenschaftliche Arbeiten und hat das Frauennetzwerk SALOON Wien gegründet.

 


Insight by

Christina Hainzl

Leiterin der Plattform